TT: Pressebericht AZ „Mit Tischtennis gegen Parkinson“

Aichacher Zeitung – Veröffentlicht am 13.06.2023 06:43, aktualisiert am 16.06.2023 15:37

Eigentlich ist Maria Kolbinger in Sielenbach als Künstlerin, Schmuckdesignerin und Kinderbuchautorin bekannt. Vor inzwischen sechs Jahren hat die 53 Jahre alte Industriekauffrau in Frührente in einer Rehaklinik mit Tischtennis aber noch ein weiteres Hobby begonnen. Das hat einen ernsten Hintergrund: Kolbinger leidet unter Morbus Parkinson, einer chronischen Erkrankung des Nervensystems, bei der Nervenzellen im Mittelhirn sukzessive absterben.

Die Rückschlagsportart soll dabei helfen, die degenerativen Prozesse zu verlangsamen – auf unterhaltsame Art und Weise. Bereits zum dritten Mal war die gebürtige Sielenbacherin Ende Mai bei den German Open im Ping-Pong-Parkinson dabei, die in diesem Jahr im ARAG Centercourt in Düsseldorf stattfanden, wo normalerweise Borussia Düsseldorf in der Tischtennis-Bundesliga aufschlägt.

2010 entdeckte Kolbinger erste Anzeichen des Morbus Parkinson, die sie damals noch nicht zuordnen konnte. Auch die Ärzte benötigten zwei Jahre für die finale Diagnose. Denn mit damals 41 Jahren hatte sie nicht das typische Alter für die nach Alzheimer zweithäufigste eurodegenerative Erkrankung weltweit. Sie beginnt meist zwischen dem 50. und 79. Lebensjahr. Bei den 40- bis 44-Jährigen ist nur circa einer von 10.000 Menschen betroffen. In seltenen, aber immer häufiger werdenden Fällen trifft die Krankheit auch Menschen unter 40 Jahren. In Deutschland leiden insgesamt 300 000 bis 400 000 Menschen darunter.

Maria Kolbinger aus Sielenbach hat Morbus Parkinson. Gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten war sie Ende Mai bei den German Open Pingpong Parkinson in Düsseldorf mit dabei. (Foto: Thomas Ullrich)

Parkinson, das umgangssprachlich auch als „Schüttelkrankheit“ bezeichnet wird, zeichnet sich unter anderem durch drei Symptome aus: Muskelzittern, Muskelstarre und verlangsamte Bewegungen bis hin zur Bewegungslosigkeit. Bei Maria Kolbinger ging die Diagnose 2012 mit gemischten Gefühlen einher.

Eine gewisse Erleichterung, nach zwei Jahren endlich einen Namen und eine Diagnose für ihre Beschwerden zu haben, wechselte sich mit der lebensverändernden Wirklichkeit einer unheilbaren, degenerativen Krankheit mit ungewisser Prognose und individuellem Fortschreiten ab. Direkt nach der Diagnose stellte sich die Behandlung als relativ simpel dar: „Am Anfang nimmst du deine Tabletten, und gut ist“, sagt die 53-Jährige. Die Tabletten führten anfänglich kaum zu Einschränkungen im Alltag.

Inzwischen nimmt Kolbinger sechs verschiedene Medikamente täglich. Seit 2017 begann die Krankheit langsam auch nach außen hin sichtbar zu werden. Im Freundes- und Familienkreis sowie auf ihrer Arbeitsstelle ging sie von Beginn an offen mit ihrer Diagnose um.

Je deutlicher die Anzeichen sichtbar wurden, umso mehr öffnete sich die 53-Jährige auch entfernteren Bekannten gegenüber. Michael Kolbinger, Maria Kolbingers Ehemann, und die beiden Kinder gaben der Künstlerin großen Halt und waren in schweren Momenten eine wichtige Stütze.

Im Laufe der Zeit fand Maria Kolbinger noch eine weitere wichtige Stütze im Austausch mit weiteren Betroffenen über die digitale Selbsthilfegruppe „Parkins-online“ (PAoL) – ein Forum für Informationsaustausch, Vernetzung, Zuhören, Chatten und Wissensaneignung über Morbus Parkinson. Sie ist mit 22 Jahren die älteste Online-Selbsthilfegruppe im deutschsprachigen Raum. Durch PAoL wurde sie auf die Pingpong-Parkinson-Turniere aufmerksam.

Jedes Jahr findet das Turnier mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Europa an anderen Orten statt, um gemeinsam gegeneinander und auch gegen ihre Krankheit zu spielen.

Unter den 200 Teilnehmern – die Startplätze sind regelmäßig nach wenigen Stunden vergeben – befinden sich auch prominente Gesichter. „Wetten dass ..?“- Erfinder und Moderator Frank Elstner, 81, und Comedian Markus Maria Profitlich, 63, waren in diesem Jahr beim Turnier in Düsseldorf dabei. Beide haben ihre Erkrankung schon vor Jahren öffentlich gemacht. Die Turniere stehen unter dem Motto „Parkinson ist nicht ansteckend – Ping-Pong-Parkinson schon“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden nach Spielerfahrung in drei Kategorien unterteilt. Ebenfalls bedacht wird, wie fortgeschritten die Krankheit bereits ist. Es sind ausdrücklich auch Anfänger willkommen.

2021 war Maria Kolbinger zum ersten Mal dabei. Nach dem ersten Kontakt mit dem Tischtennissport auf Reha im Jahr 2017 spielte sie viel mit ihrem Mann in der heimischen Garage. Für die Teilnahme an den German Open 2021 suchte sie sich beim TC Obergriesbach allerdings professionelle Unterstützung und nahm Einzelstunden bei einem Tischtennistrainer. Ihr Training macht sich bezahlt. Bei den diesjährigen German Open schaffte die Sielenbacherin es in das Halbfinale der Trostrunde. Seit 2021 ist Kolbinger außerdem Mitglied beim TC Obergriesbach und machte ihn zum offiziellen Pingpong-Parkinson-Stützpunkt – einer der wenigen in der Region.

Die Erinnerung an ihre Diagnose vor elf Jahren fällt ihr auch heute noch schwer. Der Schritt, damit an die breitere Öffentlichkeit zu gehen, ist nicht leicht und durchaus mutig. Kolbinger ist es ein Anliegen, die Selbsthilfegruppe, die ihr persönlich viele Male in schweren und schlaflosen Momenten zu jeder Tages- und Nachtzeit geholfen hat, für andere Betroffene bekannter zu machen. Dasselbe gilt für die Pingpong-Parkinson-Turniere. Der digitale und reale Austausch mit vielen Menschen in ähnlicher Situation ist für die Sielenbacherin immer wieder eine wertvolle Erfahrung. Ihre Devise ist heute mehr denn je ein Satz, den eine andere Parkinson-Erkrankte einmal zu ihr sagte: „Jetzt ist unsere Zeit.“ Denn Maria Kolbinger ist vor allem eins: hungrig nach Leben.

Im Internet Betroffene mit Morbus Parkinson finden einen Informationsaustausch unter parkins-on-line.de . Mehr über die Pingpong-Parkinson-Turniere finden Interessierte unter pingpongparkinson.de